Der Bahnhof ist ein Vorreiter gesellschaftlicher Entwicklungen

Interview mit Mag. DDr. Roman Spiss, geb. in Zams, Gymnasialprofessor und Geograph, Lehrbeauftragter an der Universität Innsbruck. Er schrieb in den 1980er Jahren eine Diplomarbeit über den Innsbrucker Hauptbahnhof.

 

Herr Spiss, was hat Sie dazu bewogen, Ihre Diplomarbeit über den Hauptbahnhof Innsbruck zu schreiben?

Roman Spiss: Ich stamme aus einer alten Eisenbahnerfamilie, einer meiner Urgroßväter war bereits Eisenbahner, so wie auch mein Großvater und mein Vater. Ich wollte allerdings kein Eisenbahner werden, sondern den Lehrberuf ergreifen. Aber der Bahnhof als Thema hat mich immer interessiert und interessiert mich nach wie vor.

 

Sie haben Ihre Diplomarbeit über den Bahnhof Innsbruck Mitte der 1980er Jahre geschrieben. Wie sind Sie dabei vorgegangen?  

Roman Spiss: Zuerst brauchte ich die Genehmigung von Seiten der Bundesbahndirektion, die mich auch bei der Arbeit unterstützte, indem sie mir Zugang zu wichtigem Datenmaterial gewährte. Meine erste Recherchearbeit führte mich dann in die Bibliothek des Landesmuseums Ferdinandeum, wo ich in alten Zeitungen Berichte über den Innsbrucker Bahnhof las. Dabei stieß ich u.a. auf eine alte Lithografie, die den ersten Bahnhof von Innsbruck aus dem 19. Jahrhundert zeigt, der noch im klassizistischen Stil gebaut war. Sogar die Bibliotheksbeamtin, die mir diese Lithografie heraussuchte, war überrascht: „Was? Wir haben einmal einen so schönen Bahnhof gehabt?“

 

Dabei hat es damals schon bald Beschwerden darüber gegeben, dass der Bahnhof nicht mehr den Erfordernissen entspräche…

Roman Spiss: Das stimmt. Schon um 1900 galt der Innsbrucker Bahnhof als Sanierungsfall, er war desolat, unzeitgemäß und schmutzig. Architektonisch war er zu dieser Zeit bereits ein Stückwerk, weil immer wieder dazu gebaut worden war, ohne dabei die Gesamtkomposition zu berücksichtigen. Seine Renovierung wurde durch den Ersten Weltkrieg verzögert. Der in der Zwischenkriegszeit neu instand gesetzte Bahnhof wiederum wurde im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Nur der Uhrturm mit dem Postamt blieb damals erhalten, viele andere Gebäude wurden bis hinüber zum Landhausplatz in Schutt und Asche gelegt, weil die Alliierten den Nachschub an die Front verhindern wollten. Allerdings konnten sie die Bahnverbindung nicht völlig lahmlegen, es gab während des Krieges ein „Notgleis“, durch das der Verkehr aufrechterhalten werden konnte.

Mitte der 1950er Jahre wurde dann die dritte Ausgabe des Innsbrucker Bahnhofes gebaut, der ein paar Jahrzehnte später auch nicht mehr den Anforderungen entsprach. Jetzt haben wir den vierten Bahnhof und es muss schon jetzt da und dort nachgebessert werden. An Bahnhöfen sieht man sehr gut, wie schnelllebig unsere Zeit ist. Man kann mit Hilfe eines Bahnhofs sehr gut die Geschichte ablesen. Wozu übrigens auch immer der Bahnhofsvorplatz gehört. Er ist einer der wichtigsten Plätze in der Stadt und sein Name hat durchaus auch Programm, weshalb der Vorplatz des Innsbrucker Bahnhofes nach dem Ersten Weltkrieg und dem Verlust Südtirols in „Südtiroler Platz“ umgetauft wurde.

 

Wann hatte der Hauptbahnhof Innsbruck seine „Blütezeit?“

Roman Spiss: Was die Frequenz der Reisenden betrifft, in den 1960er und 1970er Jahren, mit ihrem verstärkt einsetzenden Tourismus, potenziert durch die beiden Winter-Olympiaden. Auch kam es damals zu sozioökonomischen Veränderungen, viele bäuerliche Arbeitsplätze wurden aufgegeben, die Menschen suchten sich Arbeit in der Stadt, das Pendlerwesen begann. Anfang der 1980er Jahre gab es einen deutlichen Rückgang, viele fanden das Auto attraktiver als Bahnfahren. Vor den 1960er Jahren wiederum war das Bahnfahren eher nur ein Vergnügen für die gehobene Klasse gewesen, viele Leute konnten sich eine Zugfahrt gar nicht leisten. Die Oberschicht fuhr im 19. Jahrhundert in die Sommerfrische und auch der Wintertourismus kam langsam auf. St. Anton am Arlberg nahm u.a. deshalb einen so großen wirtschaftlichen Aufschwung, weil es direkt an der Bahnlinie liegt.

 

Welche Rolle spielt die Lage des Innsbrucker Hauptbahnhofes als Knotenpunkt mitten in der Stadt und als internationales Bindeglied zwischen Nord, Süd, West und Ost?

Roman Spiss: Die zentrale Lage in der Stadt ist sicher eine Besonderheit des Innsbrucker Hauptbahnhofes. Der berühmte Ingenieur Alois Negrelli, einer der Planer des Suezkanals, den man vor dem Bau des ersten Innsbrucker Bahnhofs als Gutachter herangezogen hatte, sah für ihn den Platz beim Hofgarten vor. Als Alternativen galten auch Standorte beim Kapuzinerkloster oder bei der Triumphpforte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Überlegungen, den Bahnhof überhaupt in Richtung Amras zu verlegen, also deutlich außerhalb der Stadt. Der jetzige Platz ist sicher gut gewählt, allerdings brachte er anfänglich große Probleme mit sich, weil er die Stadt entzwei schnitt und Pradl von Wilten trennte. Bis in die 1950er Jahre gab es deshalb viele Bahnschranken. Dann begann man die Straßen parallel zu den Schienen zu führen, errichtete die Konzertkurve in Wilten, der Viaduktbereich wurde gebaut und die Olympiabrücke, die über den Bahnhof führt.

Dass Innsbruck auch ein internationaler Verkehrsknoten ist, macht uns zwar beim Autotransit zu schaffen, aber für die Bahn ist es positiv, man kann von hier aus in alle Himmelsrichtungen gelangen. Das lässt den Innsbrucker Hauptbahnhof sicher besser dastehen als die Bahnhöfe manch anderer Landeshauptstadt.

 

Ist der Bahnhof eine Visitenkarte für eine Stadt?

Roman Spiss: Ganz bestimmt, denn der erste Eindruck ist sehr wichtig. Dabei spielen äußere Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel Helligkeit und Sauberkeit, aber auch die Freundlichkeit der Menschen, denen man hier begegnet, zum Beispiel der Auskunftsbeamten. Der Bahnhof ist aber auch für die ansässige Bevölkerung wichtig, er bringt Weltoffenheit in die Stadt und ins Land, macht Begegnungen möglich mit anderen Kulturen, Sprachen, Religionen, Weltanschauungen. Man kann hier viele ungewöhnliche und unkonventionelle Leute treffen und mit ihnen über das Leben philosophieren. Diese Vielfalt bringt andererseits auch Probleme mit sich, es treffen sich mitunter zwielichtige Gestalten dort, weshalb es am Bahnhof immer eine erhöhte Securitypräsenz gab und gibt. In früheren Zeiten durfte man den Hauptbahnhof überhaupt nur mit einem gültigen Zugticket oder einer Bahnsteigkarte betreten.

 

Das wäre heute nicht mehr möglich bzw. sogar kontraproduktiv, weil man das BahnhofCenter mit seinen Restaurants und Geschäften ja auch für Kunden offen halten möchte.

Roman Spiss: Ja, und das funktioniert am Innsbrucker Hauptbahnhof hervorragend. Am Sonntag wird vor allem der M-Preis geradezu von Kunden gestürmt. Der Bahnhof übernimmt also auch eine Vorreiterrolle, was die Veränderung von Traditionen betrifft. Über kurz oder lang werden die konventionellen Ladenöffnungszeiten auch anderweitig nicht mehr haltbar sein. Die Kunden erkennen die Sonntagsöffnung als hervorragenden Service durchaus an. Außerdem ist auch das Informationsservice am Hauptbahnhof Innsbruck erstklassig. Lange bevor der Zug einfährt, ersieht man aus den Anzeigetafeln und Monitoren, an welchem Bahnsteig er ein- und abfahren wird. In vielen Bahnhöfen anderer Länder wird das oft erst kurz vor der Einfahrt durchgesagt, vor allem auch deshalb, weil man die Menschen aus wirtschaftlichen Gründen so lange wie möglich in der Bahnhofshalle halten möchte und nicht am Bahnsteig, wo es nichts zu kaufen gibt. Aber bei einem Bahnhof wie Innsbruck, wo man durch Unterführungen durch muss, um zu den Bahnsteigen zu gelangen, benötigt man auch eine gewisse Vorlaufzeit.

 

Gefällt Ihnen der Hauptbahnhof Innsbruck?

Roman Spiss: Als er gebaut wurde, war ich sehr angetan von der Architektur. Er gefällt mir noch immer, aber mit der Zeit nutzt sich dieser großartige Eindruck ab, so wie sich auch das Gebäude über die Jahre abnutzt. Man könnte für jene Menschen, die immer wieder am Bahnhof zu tun haben, ein bisschen mehr mit dem Ambiente spielen, sodass es von Zeit zu Zeit eine Auffrischung gibt und man den eigenen Bahnhof wieder mit neuem Blick sieht, als sei man ein Reisender, der zum ersten Mal hier ankommt.

Der Bahnhof ist ein Vorreiter gesellschaftlicher Entwicklungen