Ansturm auf den Bahnhof trotz Autowelle

Überrollt das Auto die Bahn? Die Zahl der Fahrgäste der Brennerbahn ist von 1868 mit 200.000 auf 2,3 Millionen im Jahr 1960 gestiegen (Quelle: Dultinger, Tirols Schienenwege), dennoch kommt die Bahn durch das bessere Leistungsangebot des Individualverkehrs nun in eine Situation, die neue Schritte erfordert. Die ÖBB modernisieren in den 1960ern Schienennetz, die Schienenfahrzeuge und Bahnhöfe zügig. Innsbruck ersetzt auf den Bahnsteigen die Holz- durch Stahlkonstruktionen. 1968 folgt die Anschaffung einer Containeranlage für den Frachtenbahnhof. Nunmehr können Großcontainer von einer Länge bis zu 40 Fuß und einem Gewicht von bis zu 35 Tonnen umgeschlagen werden.

Aufsehen erregt ein Unfall mit glimpflichem Ausgang. Ein mit Gemüse beladener Lastzug aus Italien rast wegen eines Sabotageaktes ungebremst durch den Innsbrucker Bahnhof und trifft auf eine Lok.  Zu Schaden kommt niemand, außer einer Waggonladung Tomaten, deren Sauce wie Blut von den Viaduktbögen auf die Amraser Straße tropft. Als „Großkampftag“ bezeichnet die Tiroler Tageszeitung den 26. Juli 1960, denn 30 Bahnbeamte müssen dem Ansturm von 30.000 Reisenden standhalten: „An einem Tag, wie es zum Beispiel der 16. Juli war, sollte man die Männer, die auf dem Hauptbahnhof Innsbruck eine blaue Mütze mit Flügelrad tragen, respektvoll grüßen. Vom schlichten Verschieber bis hinauf zu den Beamten mit den goldenen Sternen. Sie leisten Unglaubliches. Man hat erhoben, daß sich an einem stark frequentierten Reisetag der Hochsaison im Hauptbahnhof Innsbruck 30.000 Menschen bewegen, die hier ankommen und von hier wegfahren… Am 16. Juli berührten 306 Personenund Güterzüge die Blockanlagen des Personenbahnhofes innerhalb von 24 Stunden.“

In diesem Kommen und Gehen auf engstem Raum ergibt sich eine Unmenge an Fragen, die in einem brodelnden Topf namens Bahnhofsauskunft landen. Das kleine ÖBB-Informationszentrum laut Tiroler Tageszeitung vom 12.5.1962: „Tag für Tag eine Nervensäge… vier Auskunftserteilende, ein paar Telephone, Lärm vom Bahnsteig, ein Lautsprecher und der Parteienraum voller Leute….Und die Beamten antworten trotz der Hetzerei, die sie den ganzen Tag nicht aufschauen läßt, immer gleichmäßig freundlich – perfekt in drei oder vier Sprachen…“

 

Der Jugendwarteraum hat sich schnell zum „Treffpunkt der Völker, Tippelbrüder, Autostopper und vieler junger Menschen auf großer Fahrt“ entwickelt (Quelle: TT, 13. Juni 1962). Im fensterlosen Raum wird Frau Hämmerle zur Legende. Hier „..knüpft sie („Tante Thea“) Beziehungen an, die über Länder hinwegreichen, verabreicht sie Geheimtips an Tippelbrüder mit und ohne Bügelfalten, widersteht sie dem Ansturm tausender Fragen in allen Weltsprachen…. Gewiß, unter den Tramps, die mit wimpelgeziertem Rucksack und verwegener Haartracht durch die Sommersaison ziehen, wird manchmal auch ein fadenscheiniger Bursche, ein ´leichtes´ Mädchen sein, die krumme Touren dem geraden Weg vorziehen. Aber in der Hauptsache ist ein wissensdurstiges, aufgeschlossenes und sauberes, wenn auch nicht immer gewaschenes, junges Volk unterwegs.“

Die Winterolympiade 1964 fordert Höchstleistungen des Personenverkehrs. Der Jahresfahrplan 1964/65 wird außer Kraft gesetzt, ein spezieller Olympiafahrplan gilt.

Am 8. Mai 1969 schreitet eine königliche Hoheit durch dieselben Gänge: Queen Elisabeth verweilt fünf Stunden in Innsbruck. Landeshauptmann Eduard Wallnöfer hat sie im Salonzug abgeholt und zur Europabrücke begleitet – Bahn und Autobahn zeigen die Dualität des modernen Reisens.

 

Ansturm auf den Bahnhof trotz Autowelle