Zug hält im Bomben-Trümmerfeld

Auch Kulturschaffende wollen sich selbst ein Bild machen – denn den öffentlichen Nachrichten trauten viele Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Was ist Propaganda, was die Wirklichkeit? Am 19. November 1945 macht Jerzy Stempowski, ein bekannter Essayist und Literaturkritiker, auf seiner Erkundungsreise durch Deutschland und Österreich in Innsbruck Station. Quelle: Literaturlandkarte Tirol/Südtirol, Brenner-Archiv. In „Bibliothek der Schmuggler“ schreibt er: „Um Mitternacht verlasse ich Innsbruck. Der Eilzug von Bregenz nach Wien hat zwei Stunden Verspätung. Der Bahnhof ist zerstört, und die Züge halten etwas weiter außerhalb. Etwa einhundert Personen warten in der frostigen Luft unter freiem Himmel. Genauso viele stehen im Tunnel, wo es weniger kalt zu sein scheint. Die ersten Waggons des ankommenden Zuges sind für die Besatzungsarmeen reserviert. Die Waggons für Zivilisten sind unbeleuchtet, die zerschlagenen Fenster mit Decken oder Pappe notdürftig abgedichtet. Kaum jemand steigt aus. Tastend klettern wir in die dunklen Abteile. Allem Anschein zum Trotz ist der Zug nicht überfüllt, und ich finde einen Sitzplatz. Seit einem Monat bewegt sich die große Reisewelle in Richtung Westen, und die Fahrt in die entgegengesetzte Richtung bietet keine größeren Schwierigkeiten mehr.“

(Jerzy Stempowski. Bibliothek der Schmuggler. Hamburg 1998)

Zug hält im Bomben-Trümmerfeld