Betrachtungen eines Eisenbahners

Interview mit Dr. Helmut Pawelka, geb. 1938 in Eggenburg. Der Bahn-Fachmann, Jurist und ehemalige Pressesprecher der ÖBB verfasste etliche Publikationen zum Schienenverkehr, unter anderem das Buch „Der Innsbrucker Hauptbahnhof. Architektur-Stationen seit 1858.“

 

Herr Pawelka, was entfachte Ihr Interesse am Innsbrucker Bahnhof?

Helmut Pawelka: Ich bin Eisenbahner und war 14 Jahre Fahrdienstleiter, zuletzt in Hall in Tirol. Ein Lokunfall war der Anlass für eine berufliche Veränderung. Nach dem Jus-Studium übernahm ich die Stelle als Pressesprecher der ÖBB Innsbruck. Vierzig Jahre war ich bei der Bahn und hatte mit den meisten der dort vertretenen Berufssparten, vom Gleisarbeiter bis hin zum Lokführer zu tun, kenne die Eisenbahn von der Basis her.

 

Wie sehr kann Architektur das Gefühl am Bahnhof noch beeinflussen? Ist das optische Bild nicht allein zur Hülle verkommen?

Helmut Pawelka: Bahnhöfe wurden früher als Kathedralen der Technik bezeichnet. Die Eisenbahn war etwas Aufregendes. Mit ihrer Hilfe konnte man erstmals weite Distanzen schnell überwinden. Bahnhöfe waren neu, man musste sich auch architektonisch herantasten und baute sie für das Hier und Jetzt. Heute erfordert der Bahnhofsbau exakte Planung und vor allem hohe Qualitätsmaßstäbe für Reisende. Beim jetzigen Innsbrucker Bahnhof machte sich die Kommission die Entscheidung nicht leicht. Die Architektengemeinschaft Riegler/Riewe aus Graz hat mit ihrem Vorschlag die Bedürfnisse eines kundengerechten Mobilitätszentrums und den Wunsch nach Einkauf hervorragend kombiniert.

 

Galt das Postulat „Kundengerecht“ in der gesamten Bahnhofs-Historie?

Helmut Pawelka: Kundengerecht, was Fahrkartenservice und Information betrifft, das galt auch früher. Der erste Innsbrucker Bahnhofsbau 1858 war allerdings eher von Versuch und Irrtum geprägt. Erstmals wirklich kundengerecht baute der Architekt und Hochbaudirektor der Südbahngesellschaft, Wilhelm von Flattich, 1867. In seinen Bauten hielt die Funktionalität Einzug. Er befasste sich mit den Bedürfnissen der Bahnhofsbesucher, Restauration war sein Steckenpferd. Flattich fand für Innsbruck eine vorbildliche Lösung und errichtete sogar für Restaurationsgäste eine eigene Toilette-Anlage. Danach gab es das nicht mehr! Flattich mag ich einfach, da er ein hervorragender Architekt war, der auch über den Tellerrand der Eisenbahn blicken konnte. Er baute ja auch die Hochbauten der Brennerbahn und den Wiener Südbahnhof sowie das berühmte Grand Hotel in Toblach, auch heute noch eine der ersten Adressen. Als Aufnahmegebäude oder Aufnahmsgebäude (Anm.: alte Bezeichnung) wurden und werden diese Bahnhofsbauten bezeichnet, die dem Kunden dienen. Von dort gelangte man in die Bahnsteighalle. Auch die „Station Innsbruck“ wurde 1858 nach diesem Muster errichtet. Die Bahnsteighalle wurde 1884 wieder abgerissen, die Fahrgäste erhielten ein kostengünstigeres Dach am „Hausbahnsteig“. Also eigentlich ein Rückschritt. Erst in den 1920er Jahren brachte der rasant gestiegene Zugsverkehr die Notwendigkeit für mehrere Bahnsteige, die überdacht wurden. Und erstmals bequeme Unterführungen zu den Bahnsteigen.

 

Wie wirkte sich der Wechsel der Bahnhofs-Eigentümer im Lauf der letzten 156 Jahre aus?

Helmut Pawelka: Die Österreichischen Staatskassen waren Mitte des 19. Jahrhunderts leer. Daher übereignete die Monarchie im Jahr 1858 den ersten Innsbrucker Bahnhof, kurz vor dessen Eröffnung, an die „k.k.privilegierte Südbahngesellschaft“. In ihrem Besitz standen die wichtigsten Bahnlinien Österreichs, die Gesellschaft wurde von der Familie Rothschild mit Sitz in Paris gelenkt. Der Banker-Familie traute man die wirtschaftliche Führung des großen Bahnnetzes zu. Trotz der erhöhten Reisefrequenz konnte jedoch offensichtlich auch die Südbahngesellschaft nicht die erwünschten Gewinne aus dem Reisegeschäft erzielen. So hätte die Gesellschaft schon ab den 1870er Jahren keinen einzigen Kreuzer an Dividende mehr ausschütten dürfen, was aber trotzdem geschah. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts war die Finanzlage dann tatsächlich prekär. Die Österreichischen Staatsbahnen nahmen interessanterweise ab 1880 viele Privatbahnen wieder in ihren Besitz zurück. Nur die Südbahn wechselte erst 1923 in den Staatsbesitz, damit auch der Bahnhof Innsbruck. Mein Großvater war als Bahnhofsvorstand in Klagenfurt stationiert und übernahm für die Staatsbahnen mit 1.1.1924 den Bahnhof von der Südbahngesellschaft. Das Joch der Sparsamkeit lag sowohl in der Zeit als privat geführtes wie auch als Staats-Unternehmen über allen Bahnhofsplänen für Neu- und Umbauten und es war erste Erfordernis bei den Architekten-Bewerben.

 

Der schnelle Alltag „zerhackt“ Zeit in immer kleinere Portionen. Hat Verweilen am Bahnhof noch eine Chance?

Helmut Pawelka: Der Bahnhof ist interessant für Reisende, die dort starten oder ankommen. Für Durchreisende ist der Bahnhof uninteressant. In meiner Jugend bot ein Würstlmann seine Waren am Bahnsteig feil, der Zug hatte 20 Minuten Aufenthalt. Aber jeder, der seine Reise antritt oder sie beendet, soll sich dort wohl fühlen. Dazu tragen auch die Weiler-Bilder bei. Es war eine Großtat, sie zu retten! Der Innsbrucker Hauptbahnhof ist weit mehr als ein Einkaufszentrum mit Gleisanschluss, er ist auch ein Zentrum der Begegnung. Ich als Eisenbahner gehe gern auf den Bahnhof, kaufe gerne dort eine Zeitung oder treffe mich in der Bahnhofsrestauration mit meinen Kollegen zum Eisenbahner-Stammtisch.

 

Im Lauf der Jahrzehnte fielen kleine Bahnhöfe dem Sparstift zum Opfer. Wird Innsbruck seine Stellung als Hauptbahnhof, als Tor zur Landeshauptstadt und „Verteiler“ für zwei Hauptachsen verteidigen können?

Helmut Pawelka: Innsbruck wird schon aufgrund seiner Achsenfunktion Tirols Bahnzentrum bleiben. Bei den kleinen Bahnhöfen sieht die Zukunft schlechter aus. Brixlegg ist abgerissen worden, Kirchbichl ebenso, Bahnhofsgebäude werden an Private verkauft, weil sie keine betrieblichen Funktionen mehr haben. Früher stand fast alle Kilometer, z.B. von Kufstein bis Innsbruck, ein Wächterhäuschen. Das waren rund 70, bis auf zwei sind sie alle verschwunden. Diese werden privat genützt. Die Verkehrs-Agenden der Fahrdienstleiter auf den einzelnen Bahnhöfen übernahm seit 2008 die Betriebsführungszentrale in Innsbruck. Dort arbeiten derzeit rund 15 Fahrdienstleiter pro Schicht an Monitoren. Die Züge fahren zwar großteils automatisch, die Fahrstraßen werden ferngestellt. Es bleibt aber z.B. wegen außerplanmäßiger Arbeiten an der Strecke noch viel Arbeit und Anspannung für die Belegschaft dort. Aber die Rationalisierung bringt auch erhebliche Vorteile. Ein Monitor, der auf Haltestellen anzeigt, wann der Zug ankommt, wäre früher undenkbar gewesen.

 

In den Medien rittern die Themen „Mobilität + Bequemlichkeit“ sowie „Sicherheit“ um Aufmerksamkeit. Warum ist Sicherheit (wie schon vor 100 Jahren) dermaßen auf den Bahnhof fokussiert?

Helmut Pawelka: Bahnhöfe sind die Verbindung zur Heimat, sie sind ein Stück Heimat. Vielleicht ist dieser erste Ort des Ankommens auch ein Ort der Sehnsucht. Je abgewohnter ein Bahnhof wird, desto mehr kommen auch Leute dort hin, die im Verborgenen agieren wollen. Durch helle und offene Strukturen hebt man heute das Sicherheitsgefühl. Gerade in Innsbruck wurde dies durch den neuen Hauptbahnhof optimal gelöst. Die in den Medien oft publizierten Szenarien von Kriminalität zeugen auch von alten Denkmustern, die Redakteure gern übernehmen. Der Bahnhof Innsbruck ist ein sicherer Ort.

 

Folgende Publikationen von Dr. Helmut Pawelka erlauben spannende Einblicke in Eisenbahngeschichte:
Das Buch „Tirols Schienenweg in den Süden“ von Helmut Pawelka und Angela Jursitzka, mit 132 Seiten und 192 Bildern, erschien 2007 im Alba-Verlag es kostet 9,95 Euro.
Das Buch „Bahn im schroffen Fels“, 2011, von Angela Jursitzka und Helmut Pawelka ist im Alba-Verlag erschienen, umfasst 144 Seiten mit 232 Fotos und Skizzen und kostet 22,70 Euro.
Das Buch „Von Ost nach West durch Alt-Tirol“, 2014, ebenfalls von Helmut Pawelka und Anela Jursitzka verfasst, ist 192 Seiten stark mit 281 Abbildungen und kostet 25,00 Euro.

Betrachtungen eines Eisenbahners