50.000 Bilder rund um den Bahnhof

Interview mit dem pensionierten Innsbrucker ÖBB-Beamten und begeisterten „Trainwatcher“ Walter Kreutz, der eines der größte Foto- und Bildarchive rund um den Innsbrucker Bahnhof zusammengetragen und zu einem großen Teil selber fotografiert hat. Walter Kreutz ist auch der Verfasser des Buches „Chronik der Innsbrucker Verkehrsbetriebe“. 

 

Walter Kreutz, Sie sind pensionierter ÖBB-Beamter und seit jeher ein begeisterter „Trainwatcher“ und haben die wohl größte Innsbrucker Sammlung an Zug- und Bahnhofs-Fotos zusammengetragen. Wie haben Sie das geschafft?

 Walter Kreutz: Die Pionierzeit der Eisenbahn habe ich zwar nicht miterlebt, aber ich habe viele Fotos von damals gesammelt. Ich rettete sie aus Nachlässen, die für den Müll bestimmt waren, als Ende der 1960er Jahre die Farbfotografie aufkam. Die früheste Glasplatte mit einem Negativabdruck in meiner Sammlung stammt aus dem Jahr 1863. Ab 1951 fotografierte ich selber, zuerst mit der aufklappbaren „Agfa Billy“ meines Vaters, weil ich mir noch keine Kamera leisten konnte. Das Fotografieren habe ich mir selber beigebracht. Viel Zeit meines Lebens verbrachte ich an Schienen oder in Dunkelkammern. Früher wurde ich belächelt, weil ich Züge und Trambahnen fotografierte, aber heute sind meine Bilder als Zeitzeugen mit dokumentarischem Wert gefragt. Sie wurden in Illustrierten und Eisenbahnzeitschriften veröffentlicht, sogar in Schulbüchern, und es wurden viele Ausstellungen damit bestückt. Auch Hugo Portisch verwendete Fotos von mir in seiner Doku-Serie „Österreich I“.

 

Haben Sie Ihre Sammlung noch bei sich zuhause?

Walter Kreutz: Den größten Teil meiner Sammlung habe ich inzwischen dem Stadtarchiv Innsbruck übergeben. Früher kümmerten sich die Archive ja hauptsächlich um wissenschaftliche Publikationen und nicht so sehr um das Sammeln. Bei mir zuhause wäre es allmählich eng geworden. Ich habe 50.000 Bilder und Negative zusammengetragen, 25.000 davon fotografierte ich selber. Ein paar Alben habe ich aber noch bei mir zuhause.

 

Hatten Sie die Kamera immer auch im Dienst dabei, um schnell ein Foto schießen zu können?

Walter Kreutz:  Selbstverständlich. Und da viele meiner Kollegen über meine Leidenschaft Bescheid wussten, verständigten sie mich, sobald es etwas Interessantes zu fotografieren gab. Sie riefen mich an und informierten mich darüber, um welche Zeit auf welchen Bahnsteigen besondere Züge einfuhren. Bei vielen wichtigen Anlässen und Ereignissen rund um den Bahnhof war ich ebenfalls mit meiner Kamera dabei. Und für den Bestand an alten Fotos, vor meiner Zeit, klapperte ich viele Fotogeschäfte ab und bat auch Eisenbahnpensionisten, mir die Bilder für Repros zur Verfügung zu stellen. Sonst wären viele Aufnahmen von dokumentarischem Wert für immer verloren gewesen. Die meisten jungen Leute hatten ja kein Interesse daran und warfen sie weg.

 

Sie waren auch beim Besuch von Queen Elisabeth II im Jahr 1969 am Innsbrucker Bahnhof. Wie haben Sie den Empfang erlebt?

Walter Kreutz: Ehrlich gesagt war das für mich nicht besonders aufregend, gesellschaftliche Ereignisse haben mich nie interessiert. Ohne Zug im Hintergrund wäre für mich sogar Königin Elisabeth als Fotomotiv nicht sehr attraktiv gewesen. Für mich zählten immer nur die Züge, der Bahnhof und alles, was damit zu tun hatte. Ich war zum Beispiel auch mit der Kamera dabei, als 1960 ein mit Gemüse beladener Lastzug aus Italien wegen eines Sabotageaktes ungebremst durch den Innsbrucker Bahnhof raste, auf eine Lok traf und die Sauce der zerquetschten Tomaten von den Viaduktbögen auf die Amraser Straße tropfte. Das sah schrecklich aus, als sei überall Blut herumgespritzt.

 

Ihre Sammlung beinhaltet auch eine umfassende Gesamtschau über die Gebäude des Hauptbahnhofs Innsbruck. Sie haben sozusagen die Bahnhofsentwicklung als Bilddokumentation im Überblick.

Walter Kreutz: In meiner Sammlung gibt es Bilder von sämtlichen Gebäuden, die zum Innsbrucker Hauptbahnhof gehörten. Sogar vom allerersten Bahnhof, einem schönen klassizistischen Gebäude, das noch eine Zughalle hatte. Diese wurde allerdings sehr früh wieder abgerissen, vermutlich wegen der Vergrößerung der Gleisanlagen aufgrund der neuen Brennerbahn, die 1867 eröffnet wurde. 1927/1929 wurde jener Bahnhof gebaut, der später im Zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer fiel. Nur das Uhrturmgebäude blieb bis heute davon erhalten. Dieser zweite Bahnhof hatte schöne Arkaden und geschwungene Holzdächer, er hatte bereits Unterführungen und war besonders formschön. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in den Jahren zwischen 1951 und 1953 der Bahnhof wieder neu gebaut, wegen des Geldmangels allerdings in Raten. Zuerst waren sowohl Schalter, Büros und Geschäfte als Notbehelf in Baracken untergebracht. Auch in der Ankunftshalle konnte noch gearbeitet werden, sie hatte den Krieg überstanden, musste aber dann dem Bahnhofsneubau weichen. Dieser dritte Bahnhof war keine architektonische Meisterleistung, fast alle Bahnhöfe sahen damals gleich aus, unserer glich fast aufs Haar dem Grazer Bahnhof. Und die Bausubstanz war katastrophal. Ich habe in diesem Gebäude selber viele Jahre Dienst gemacht, u.a. am Fahrkartenschalter. Mittlerweile haben wir Ausgabe Nummer vier des Innsbrucker Hauptbahnhofes. Von ihm kann sich jeder selber ein Bild machen.

 

Heute ist das BahnhofCenter Innsbruck ein modernes Einkaufszentrum mit Shops, Cafés und Restaurants. Wie war es um die Geschäftsausstattung der früheren Ausgaben des Innsbrucker Bahnhofs bestellt?

Walter Kreutz: Eine Bahnhofsrestauration hat es in allen diesen Bahnhöfen gegeben und im zweiten Bahnhof gab es auch eine Wechselstube. Die Ausstattung mit Geschäften kam aber erst im Bahnhof nach dem Zweiten Weltkrieg, also in der dritten Bahnhofsausgabe. Damals gab es u.a. das Delikatessengeschäft Schlesinger, heute würde man Snackbar dazu sagen. Schlesinger bot belegte Brote und sonstige kleine Imbisse sowie Getränke an. Dann gab es die Drogerie Gironcoli, ein Zeitungsgeschäft und das Blumengeschäft der Familie Kreutz, mit der ich allerdings nicht verwandt bin. Auf dem Bahnsteig verkaufte der Kriegsopferverband in einem Kiosk Süßigkeiten. Und dann gab es in der Bahnhofshalle noch ein Geschäft, das für mich besonders wichtig war: Gleich neben dem Eingang betrieb Frau Pertl vom ehemaligen Foto Gratl ein Foto- und Andenkengeschäft. Oft waren nur Verkäuferinnen als Aushilfe da, die immer zu mir geeilt kamen, wenn ein Kunde sie bat, den Film in der Kamera auszuwechseln. Frau Pertl hatte auch eine Dunkelkammer, die ich benützen konnte, bis ich mir zuhause selber eine einrichtete.

 

Fotografieren Sie heute noch am Bahnhof Innsbruck und an den Tiroler Bahnstrecken?

Walter Kreutz: Ja, ich bin jetzt 83 Jahre alt und immer noch mit meiner Kamera unterwegs. Allerdings nicht mit einer digitalen. Dieser neuen Technik misstraue ich. Wer kann sagen, wie lange sie halten und ob es in der Zukunft dann noch Lesegeräte dafür geben wird. Ich würde gern auch noch in Schwarz-Weiß fotografieren, aber diese Zeiten sind nun wirklich vorbei. Schwarz-Weiß Bilder interessieren leider niemanden mehr.

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