Der Bahnhof als Kunsthalle

Interview über die Max Weiler-Fresken am Hauptbahnhof Innsbruck mit Kunsthistoriker Dr. Günther Dankl, Kustos der Graphischen Sammlungen und Leiter der Modernen Galerie am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum.

Max Weiler (* 27. August 1910 in Absam in Tirol; † 29. Jänner 2001 in Wien).

 

Herr Dankl, wenn Sie durch die Halle des Innsbrucker Hauptbahnhofs gehen, werfen Sie dann immer auch einen Blick auf die Gemälde von Max Weiler?

Günther Dankl: Als Kunsthistoriker schaue ich natürlich hin, aber nicht hoch emotional, sondern mit neutralen Gefühlen. Ich habe mehrere Ausstellungen mit Werken von Max Weiler gestaltet und finde, sie haben noch immer Gültigkeit, obwohl die beiden Wandfresken im neuen Bahnhof nicht mehr optimal positioniert sind und dadurch viel von ihrer ursprünglichen Relevanz und Ausstrahlung verloren haben. Max Weiler hat sie als zusammengehörende Werke und als Gegenüberstellung von Historie und Gegenwart konzipiert. Im alten Bahnhof waren sie wandfüllend und standen einander tatsächlich gegenüber, jetzt sieht man nicht einmal mehr, dass sie zusammengehören. Man muss sich auf die gegenüberliegende Balustrade stellen und zwischen den beiden hin und her switchen, um das zu erkennen. In der alten Halle stand man automatisch mittendrin und konnte sich ihrer Wirkung nicht entziehen.

 

Muss man es den ÖBB dennoch hoch anrechnen, dass sie keine Kosten gescheut haben, die Bilder in den neuen Bahnhof zu integrieren? Sie wurden ja Anfang der 2000er Jahre mit enormem Aufwand in einem logistischen Bravourstück unter der Leitung des Wiener Restaurators Peter Berzobohaty in den neuen Bahnhof übersiedelt.

Günther Dankl: Natürlich denkt man sich manchmal, wie viel junge Kunst und Künstler man mit dem vielen Geld hätte fördern können. Aber aufgrund ihrer Größe wäre es schwierig gewesen, die Bilder museal unterzubringen. Und ihre Zerstörung hätte einen großen Verlust bedeutet. Es ist also sehr positiv, dass sie noch im Bahnhofsgebäude hängen und man sie an diesem leicht zugänglichen und so viel frequentierten Ort betrachten kann.

 

Bei ihrer Enthüllung im Jahr 1954/1955 verursachten die Fresken einen Skandal. Die Bilder mussten zeitweise sogar unter Polizeischutz gestellt werden. Versteht man Max Weiler heute besser?

Günther Dankl: Ich denke schon, dass die Gesellschaft toleranter geworden ist und das Kunstverständnis sich allgemein vertieft hat. Solche Auseinandersetzungen wie damals haben sicher dazu beigetragen. Es gab nach der Enthüllung der Bilder viele Hearings und öffentliche Diskussionen, Max Weiler konnte seinen Standpunkt erklären, eine Reihe von namhaften Persönlichkeiten stellten sich auf seine Seite und auch das französische Kulturinstitut, das ja in Tirol viel zu einem besseren Verständnis der modernen Kunst beigetragen hat, unterstützte ihn.  Menschenmassen sind zum Bahnhof gepilgert, um sich die Bilder anzusehen. Das war ganz im Sinne Weilers. Er wollte zwar keinen Skandal entfachen, aber er hatte immer die Intention, dass „Große Bilder“, wie er seine Wandbilder bezeichnete, auch didaktisch wirken sollen wie einstmals die großen Deckengemälde in den Kirchen. Was den Stil betraf, war er der Meinung, die Augen der Menschen würden sich an die neuen Ausdrucksmittel gewöhnen. Und so war es ja auch.

 

Was hat denn nach Enthüllung der Bilder bei großen Teilen der Bevölkerung eine derartige Empörung hervorgerufen?

Günther Dankl: Vor allem die Formensprache. Weiler malte die Ikonen der Tiroler Geschichte wie Andreas Hofer und die Schützen, aber auch Teile der Natur, wie zum Beispiel ein Pferd, in einer gewagten Stilistik, die viele Menschen als diskriminierend empfanden. Die kleinen Köpfe, das Fehlen der Gesichtszüge und die gebückte Haltung der Schützen wurden von vielen Betrachtern als Karikatur angesehen.

 

Man muss sich wundern, dass Max Weiler damals den Auftrag überhaupt erhalten hat…

Günther Dankl: Die ersten Entwürfe dieser Bilder, die er einer Jury vorlegte, waren ja in manchen Details  noch anders gehalten, sie zeigten Andreas Hofer konventionell als Mann in Tracht und mit langem Bart, die Formensprache war viel realistischer. Im Laufe des Arbeitsprozesses, der über zwei Jahre dauerte, reduzierte Weiler seine Kunstsprache immer mehr. Ihn interessierte mehr die formale Gestaltung als die Erzählung. Sein Standpunkt war, dass Künstlern diese Entwicklung zugestanden werden muss.

 

Welcher Jury legte Max Weiler die Entwürfe seiner Bahnhofs-Bilder vor?

Günther Dankl: Es war eine eigens dafür ernannte Jury, die sich wie bei allen „Kunst-am-Bau“- Aufträgen aus Kunstfachleuten, den Architekten, dem Bauherrn und Vertretern der Kulturabteilung des Landes Tirol zusammensetzte. Es gibt ja in Tirol das Gesetz, dass bei öffentlichen Gebäuden zwei Prozent der Auftragssumme als Aufträge an Künstler ergehen müssen. Vor allem in den Nachkriegsjahren konnte die Bevölkerung kein Geld für Kunst ausgeben und viele Künstlerinnen und Künstler hätten ohne diese Maßnahme nicht existieren können. Die ÖBB hätten sich nicht an die Auflage halten müssen, weil sie ihre Zentrale in Wien haben. Dass sie den Auftrag trotzdem vergaben, ist ihnen sehr zu danken.

 

Sind Bahnhöfe prinzipiell gute Plätze für Kunst?

Günther Dankl: Ja, vor allem auch der Bahnhofsvorplatz. Von 2005 bis 2010 stellte die Stadt Innsbruck dort eine der großen Werbetafeln für Kunst zur Verfügung. Der riesige Bildschirm wurde von fünf Künstlern und einer Künstlerin jeweils für ein Jahr bespielt. Christine  S. Prantauer aus Zams konzentrierte sich 2008 mit ihrer sehr schönen Fotomontage-Arbeit „arrivée“ unter kritischen Aspekten auf das Thema Reisen und die Flüchtlingsproblematik. Das Land Tirol hat diese Arbeit angekauft.

Der Bahnhof als Kunsthalle